Abstract:
Immer wieder wird auf das besondere Potenzial der Literatur hingewiesen, in Lernenden „Neugier und Lernlust“ zu wecken (Weinrich 1981) und sie emotional zu berühren und zum kreativen Schaffen anzuregen, das an die Interessen und die Lebenswelt der Lernenden anknüpft. Dieses gilt gerade auch für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache (DaF).1 Literatur muss aber nicht allein dem Literaturunterricht vorbehalten bleiben, sondern ihre Wirkung kann sich auch im Grammatikunterricht entfalten, und zwar dadurch, dass die Grammatik zu einer Textgrammatik im Sinne Harald Weinrichs ausgeweitet wird: die grammatischen Phänomene auf der Basis von Texten – vorzugsweise literarischen Texten - zu verstehen. Dass sich die Lernziele Sprachkompetenz und Literaturkompetenz durchaus verbinden lassen, ist keine neue Idee. Schon in der spätantiken und mittelalterlichen ars grammatica gehörte die Lehre der Grammatik mit der Lektüre und Erklärung der Dichter untrennbar zusammen (Weinrich 1981: 172). Seitdem häufen sich die Stimmen, die die Grammatikvermittlung anhand literarischer Texte befürworten, und es liegen viele (wissenschaftliche) Arbeiten vor, die an konkreten Beispielen zeigen, wie ein solcher Unterricht stattfinden kann.2 Doch eine Lernergrammatik, die einen fremdsprachlichen Grammatikunterricht ausschließlich mit literarischen Texten darstellt, wurde bis dato noch nicht verfasst.
Vor diesem Hintergrund ist die Idee des Forschungsvorhabens der vorliegenden Arbeit im Bereich der Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache entstanden, in dem ein Unterrichtsmodell entwickelt wird, das Literatur in den Grammatikunterricht integriert, um nicht nur die Grammatik, sondern auch Literarizität und kulturbezogenes Lernen3 zu vermitteln. Grundlage dieses Ansatzes stellt die Textgrammatik Harald Weinrichs dar, die als Basis für die hier vorgestellte Lernergrammatik dient. Der Begriff „Lernergrammatik“ bezieht sich auf „pädagogische Grammatikbeschreibungen, die eine Hilfe zum Erwerb und Erlernen dieser Kompetenz darstellen“ (Tschirner 1999: 227). Für die vorliegende Arbeit gilt in besonderer Weise auch Lorenz Nieders (1987) Ansatz einer solchen Grammatik, die sprachlichen Elemente im Textzusammenhang zu finden. Es handelt sich folglich um eine „textbezogene Grammatik“ (ebd.), deren Belegmaterial überwiegend aus originalen Texten stamme und an diesen Texten nachgeprüft werden könne. Solch eine „lernerfreundliche fremdsprachliche Grammatik“ (im Sinne von „Grammatikbuch“) (Tschirner 1999: 227) ist an dieser Stelle gemeint.4
Die Arbeit zeigt in einer Fallstudie auf, wie im DaF-Unterricht an der Universität Pretoria, Südafrika, Grammatik ausschließlich anhand von literarischen Texten vermittelbar ist. Ein Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit besteht somit darin, Methodenkonzeptionen und theoretische Positionen des Grammatikunterrichts mit besonderer Berücksichtigung der Diskussionen zum Thema Sprache/Grammatik und Literatur zusammenzuführen und kritisch zu prüfen. In einem zweiten Schwerpunkt wird untersucht, wie Grammatiklernen mithilfe von literarischen Texten in einem südafrikanischen DaF-Studiengang stattfinden kann.
Das zentrale Problem dieser Arbeit setzt sich mit der Fragestellung auseinander, inwiefern der Ansatz der Textgrammatik Harald Weinrichs effektiv als eine Lernergrammatik im DaF-Unterricht angewendet werden kann? Im Rahmen einer Fallstudie soll demonstriert werden, wie die Textgrammatik als Lernergrammatik einen effizienten und holistischen Beitrag für das Erlernen von Fremdsprachen liefern kann. Die wichtigsten Fragen des Forschungsvorhabens lassen sich zudem folgendermaßen zusammenfassen:
1. Warum sind literarische Texte im Grammatikunterricht des Deutschen als Fremdsprache geeignet?
2. Wie können die Grundsätze der Textgrammatik Harald Weinrichs effektiv als Lernergrammatik im DaF-Unterricht angewendet werden?
3. Welche Texte sind für den Unterricht geeignet? Nach welchen Kriterien werden sie ausgewählt?
4. Wie werden literarische Texte für den Grammatikunterricht didaktisiert? 5. Welche Unterrichtsverfahren eignen sich am besten für einen solchen Unterricht?
6. Welche Lernziele sollen durch einen solchen Unterricht erreicht werden?
7. Wie werden die Lernenden animiert, selbst „literarische“ Texte zu produzieren?
8. Wie ändert sich die Haltung der Lernenden angesichts eines solchermaßen gestalteten Grammatikunterrichts?
Ziel der vorliegenden Arbeit ist der Entwurf eines Forschungsdesigns für einen Grammatikunterricht, der nicht nur Sprachwissen vermittelt, sondern dieses mit Originarität (vgl. Peeters 2008), Originalität und Kreativität verbindet, sodass die Lernenden dazu befähigt werden, ihre Fremdsprachenkenntnisse in einem sprachlichen Kontext kompetent anwenden zu können. Dazu musste die umfangreiche, wissenschaftliche Textgrammatik Harald Weinrichs für den Fremdsprachenunterricht adaptiert und zu einer umfassenden Lernergrammatik ausgeweitet werden. An Fallbeispielen wird demonstriert, welche Ergebnisse durch diese Methode erzielt werden können. Das schriftlich erhobene Material besteht aus Textproduktionen der Lernenden, die gesammelt und anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002: 114ff.) und Lamnek (2010: 434ff.) analysiert und ausgewertet werden. Diese Inhaltsanalyse ermöglicht es, die sprachlichen Eigenschaften der Texte objektiv und systematisch zu identifizieren. Darüber hinaus gibt sie Rückschlüsse auf individuelle, emotionale, kulturelle und soziale Aspekte der Verfasserinnen und Verfasser dieser Texte, obwohl bei der Auswertung linguistisch-grammatische und literarisch-ästhetische Kriterien im Vordergrund der Analyse stehen.
Die Arbeit besteht aus drei Hauptteilen. Im ersten Teil werden als Grundlage der Fallstudie drei Themenfelder des Fremdsprachenunterrichts dargestellt, auf denen das Konzept der Lernergrammatik aufbaut: Grammatik (1. Kapitel), Literatur (2. Kapitel) und kreatives Schreiben (3. Kapitel). In einem Rückblick wird im ersten Kapitel dargestellt, wie sich Methodenkonzeptionen und Schwerpunktsetzungen im Bereich der Grammatik- und Literaturvermittlung im DaF-Unterricht verschoben und verändert haben. Dadurch soll aufgezeigt werden, welche Lern- und Lehrmethoden sich im Zuge der Veränderungen als wissenschaftlich fundiert, optimal und effektiv erwiesen haben, um diese als Basis für die hier vorgestellte Lernergrammatik anzuwenden. Im zweiten Kapitel wird eine Bestandsaufnahme davon gemacht, wie seit Entstehung der Textlinguistik in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts vermehrt der Einsatz literarischer Texte auch im DaF-Unterricht gefordert wird. Das dritte Kapitel zeigt didaktisch-methodische Begründungen des Schreibens, vor allem des kreativen Schreibens auf, die für einen Grammatikunterricht, in dem mit literarischen Texten gehandelt wird, eine entscheidende Rolle spielen. In einem Exkurs sollen zudem wichtige Forschungsergebnisse aus der Gehirnforschung dargestellt werden, die zu praktischen Schlussfolgerungen für Schule, Universität und Gesellschaft geführt haben. Auf diesen drei Eckpunkten stützt sich das vorzustellende Unterrichtsmodell der vorliegenden Arbeit für die Lernergrammatik.
Im zweiten Teil werden die empirische Forschungsmethodologie erläutert, die Rahmenbedingungen und Zielgruppe beschrieben und ein Unterrichtsmodell entwickelt, das die praktische Umsetzung der Lernergrammatik ermöglicht und veranschaulicht.
Der dritte Teil besteht aus der empirischen Analyse der Ergebnisse, die im Rahmen dieses Unterrichts entstanden sind und von den Studierenden erarbeitet wurden. Diese Ergebnisse werden mittels der Inhaltsanalyse ausgewertet.
Eine Zusammenfassung und Schlussfolgerung spricht sich im vierten Teil für den weiteren Ausbau dieses Konzepts aus und legt dar, wie ein textgrammatischer Unterricht auch auf anderen Ebenen für den DaF-Unterricht umgesetzt werden kann.